81/365 Seniorenhaarschnitt

Moin zusammen!

Es gibt ganz sicher einige Dinge in China, mit denen ich in Deutschland nur sehr schwer leben könnte. Da sind die allgegenwärtigen Kameras zum Beispiel, die Beschränkungen, welche Webseiten ich aufrufen darf (ja ich weiß, dass es dafür „Lösungen“ gibt), das Verhalten der Chinesen im Straßenverkehr oder das Antreten, Salutieren und Hymnengesinge bei der Flaggenparade in der Schule – um nur ein paar Punkte zu nennen.

Was mich aber zutiefst beeindruckt, ist die immense Zahl von hoch- und höchstbetagten SeniorInnen im Straßenbild. Die sind mit e-Scootern unterwegs, kaufen ein, kümmern sich um die Enkel oder sitzen in Parks zum Kartenspielen. Hier schiebt der rüstige Mitneunziger die flotte Endachtzigerin über die öffentliche Tanzfläche, dort verzocken 240 Jahre Lebenserfahrung ihre Rente beim „Skat“ (heißt natürlich anders hier, funktioniert offensichtlich anders, scheint sich aber ähnlicher Beliebtheit zu erfreuen). Heute sind wir auf ein Areal gestoßen, auf dem waren bestimmt 50 bis 60 Leute versammelt mit einem Durchschnittsalter von über 65 Jahren. Und das es nicht noch höher war, lag an der Anwesenheit einiger junger Frisöre, die sich um das schüttere Haar oder die grauen Bärte der Alten kümmerten. Nun kann man einwänden, getanzt wir auch in unseren Altenheimen und der Frisör kommt ebenfalls ins Haus, aber das ist eben in meinen Augen eben nicht dasselbe. Wo bleibt denn für SeniorInnen bei uns noch der Anreiz am öffentlichen Leben teilzunehmen, wenn alle Aktivitäten und Dienstleitungen zu ihnen ins Altenheim kommen? Ich bin beruflich ständig in diesen Häusern unterwegs, die zwar ihren BewohnerInnen allen Komfort bieten, wo dann aber, so sicher wie das Amen in der Kirchen, im Eingangsbereich eine handvoll schweigende Alte sitzen, für die das Eintreffen eines Rettungswagens das Highlight des Tages ist. Dann lass‘ ich mir im Alter lieber auf dem Kleinflecken den Bart stutzen!

Ansonsten waren wir heute wieder zu Fuß, zu Wasser und im Bus unterwegs, haben den ältesten Bereich von Suzhou innerhalb der alten Stadtmauer besichtigt, sind auf dem Kaiserkanal an der Stadtmauer entlang geschippert (dabei hat Tourguide William einen alten „Schlager“ ins Bordmikro geträllert), haben ein – so würde ich es richtigerweise bezeichnen – Seidenfabrikations-Infozentrum besichtigt (natürlich mit großer Verkaufsausstellung) und wurden durch die Stadt zur Shantang Straße (eine überraschende Kombination aus Tourimeile und echter Altstadt!) chauffiert. Tourguide William ist während des Bus-Transfers stets bemüht uns auf alles Sehenswerte rechts und links des Weges hinzuweisen, was er bis gestern wegen der defekten Lautsprecheranlage im Mittelgang stehend erledigt hat. Seit heute ist das technische Problem „behoben“, d.h. William darf jetzt sicher unten (wir sind in einem Hochdecker-Reisebus unterwegs) beim Fahrer Platz nehmen. Wir können ihn nun zwar nicht mehr sehen, wohl aber hören. Nur leider hat es mit der Reparatur der Lautsprecher nicht so hundertprozentig geklappt, so dass der Gute jetzt so viel Hall auf der Stimme hat, als würde er direkt aus dem Jenseits zu uns sprechen. Das sorgt jedesmal für Erheiterung, sobald er das Wort ergreift. Natürlich ist das reichlich albern von uns, aber die Stimmung in der Gruppe ist nach wie vor sehr ausgelassen. William nach seinen Job richtig gut und versucht es uns bei allem – von der Essenauswahl bis zum Besuch eines buddhistischen Tempels – Recht zu machen. Klasse, danke!

Bleibt munter!

 

P.S.: Morgen Abend steigen wir in den Nachtzug nach Peking. Ob ich auf der Strecke wLAN habe und etwas posten kann, weiß ich nicht. In Deutschland wäre ich mir sicher, dass es nicht ginge – aber das hier ist China!